Vergänglichkeit oder die Kunst zu leben

Kürzlich bekam ich eine WhatsApp-Nachricht. In einem Haus im Kleinbasel findet eine Hausräumung statt. Die langjährige Bewohnerin sei ins Altersheim umgezogen. Ich ging hin. Ich muss gestehen, dass ich eine passionierte Flohmarktbesucherin bin. Wo ich bin (In-und Ausland) gehört für mich ein Flohmarktbesuch zwingend dazu. Ein Flohmarkt ist für mich das «Gesicht dahinter «einer Stadt.

Ich lief durch das Haus. Dort schien die Zeit stillgestanden zu sein. Viele Kleinigkeiten, Bücher, Handwerkliches standen in den Regalen. Schranktüren standen offen und gaben Einblicke in die Kleider- und Schuhsammlungen, die im Verlaufe der vergangenen Jahre zusammengekommen waren. Ich stellte mir diese Person vor. Es standen Fotos dort aus vergangener Zeit. Wohl ihre Kinder? Oder Enkel*innen? Es wurde mir bewusst, dass ich gerade Zeugin wurde einer Zeit, die es nicht mehr gibt. Diese Vergänglichkeit macht alles einzigartig. Nichts ist auf die Dauer. Es lag wie ein Schleier auf alle diesen Dingen. Ich ging weiter und hörte Gesprächsfetzen von Besucher*innen, die wie ich auf der Suche nach etwas Brauchbarem waren und sich im Haus verteilt aufhielten. Hier in diesem Haus nimmt etwas ein Ende. Doch das Haus wird renoviert und bald eine neue Familie beherbergen werden. Durch diesen «rite de passage» wird etwas Neues entstehen. Es ist, wie wir auch auf baseldeutsch sagen «passagär».

Es ist gut, dass es die Vergänglichkeit gibt.

Ich habe mir vorgenommen mit drei Personen zu diesem Thema zu sprechen.

Die erste von mir befragte Frau ist Bewohnerin des Senevita Altersheim auf der Erlenmatte. Sie ist neunzig Jahre alt geworden diesen Sommer. Eine ihrer zentralen Aussagen war: Vergänglichkeit gibt Hoffnung! Alles wird vorbeigehen. Selbst die Schmerzen. Für sie ist alles vergänglich. Nur die Ewigkeit bleibt bestehen. Ganz klar trennt sie Vergänglichkeit von Tod ab. Alles sei eine Verwandlung. Auch die Natur ist wandelbar. Alles sei wie ein Durchgang ohne definitves Ende. Ich war erstaunt über ihre klaren Gedanken. Nach Dreiviertelstunden Gespräch wurde ihr Kopf müde. Ich war dankbar für unseren Austausch.

Mein zweiter Gesprächspartner ist ein 43 jähriger Mann. Er arbeitet auf dem Erlenmattareal. Ihm kommen zum Thema Vergänglichkeit die Jahreszeiten in den Sinn. Alles hat einen Rhythmus. Er spricht über Zeitrhythmen. Da wirkt er nachdenklich. Wenn die Zeit nicht vergehen will, wie zum Beispiel in den Gefängnissen, dann kann die Zeit zur Last werden……..und Angst machen. Ich bin erstaunt über diese Wendung zu unserem Thema. Die Präsenz in der Gegenwart ist für ihn sehr wichtig. Denn nur das Jetzt wird morgen schon zum Vergangenen. Für ihn ist Vergänglichkeit positiv. Er hat das Erlenmattareal erlebt als es noch das NT-Areal war. Da hätte er viel Freiraum gehabt. Er und seine Freund*innen. Da wäre Luft zum atmen gewesen (Übrigens ist die Luft, die ich ausatme, bald die Luft, die ein anderer Mensch einatmen wird!).
Er hat Musik machen können und hätte Freiraum gehabt. Nun ist er persönlich weiter-und umgezogen. Er wohnt immer noch im Kleinbasel. Ich frage, wie er denn das neue Erlenmattareal finde? Auch gut, antwortet er knapp. Ich nehme ihm das nicht ganz ab. Er hatte eine andere Vision für diesen Stadtraum. Doch, wie er auch ausführt, soll Vergangenes losgelassen werden. Sonst kann es nicht in den Zyklus des Vergänglichen eintreten.
Da kann ich ihm nur zustimmen.

Meine letzte Gesprächspartnerin ist eine 25-jährige Frau. Sie wohnt im Kleinbasel. Zur Vergänglichkeit assoziiert sie Beziehungen. Beziehungen, freundschaftlicher-, romantischer- oder familiärer Art, sind vergänglich. Liebesbeziehungen noch mehr?! Etwas wie der gemeinsame Nenner bringt Menschen auf Zeit zusammen. Fehlt dieses Gemeinsame, geht die Beziehung auseinander. Eine Ehe ist für sie unnatürlich. Auch das Ichbewusstsein eines Menschen ist vergänglich. Dieses erlischt mit dem Tod. Nun stecken wir mitten in einer philosophischen Begriffsdeutung. Und irgendwann schweifen wir ab zu einem anderen Thema. Auch gut.

Bevor ich die Interviewpartner*innen zum Gespräch traf (an dieser Stelle bedanke ich mich bei allen Dreien für den spannenden Gedankenaustausch), dachte ich so voreilig, dass Vergänglichkeit sicher mit dem Tod gleichgesetzt wird. Doch wenn Vergänglichkeit ein Prozess darstellt, dann geht es nach dem Tod weiter. Wie in der Natur: die uns sichtbaren Teile verwelken, Doch was geht da im Erdinneren weiter vor. Oder im Baumstamm? Oder denken wir an die Sternschnuppen im grossen Sternenhimmel über uns.. Wenn wir die Sternschnuppe sehen, dann ist sie am vergehen. Sonst würde das menschliche Auge sie nicht erkennen können.

Oh, was für eine Gedankenreise über das Wort Vergänglichkeit. Angefangen hat es im Haus, das geräumt werden soll.
Das Haus, im welchem der QTP beheimatet ist, soll auch geräumt werden. Das wissen Sie als aufmerksame/r Leser*innen schon längst. Der QTP Gleis 58 ist aber nicht, wie im letzten Mozaikheft angekündigt, an den Goldbachweg gezogen. Sie denken bestimmt, was das für ein Hin- und her ist? Und Sie haben vollkommen Recht! Wir glauben es manchmal selber nicht mehr. Wir durften nochmals länger im alten Haus am Erlkönigweg 30 bleiben (bis Ende Dezember 2020). Und wie geht es weiter?

Vielleicht kommt nochmals eine Verlängerung ……
Bitte informieren Sie sich auf der Homepage vom QTP Gleis 58 im Internet. Wir garantieren eine Fortsetzung des Angebotes. Sobald wir wissen wie es für 2021 weitergehen wird, definitiv, werden sie es dort erfahren können.
Und denken Sie daran: Nichts ist für die Ewigkeit, alles ist vergänglich. Es ist ein Wendepunkt, der Neues entstehen lassen kann. Lassen Sie sich überraschen. Wir sind selber sehr gespannt.

Susanne Zeugin

12-2020 SusanneZeugin Erlenmatt Alter