Sanieren hat Vorrang — unter Einbezug der Bevölkerung

Erfahrungen zeigen: Eine Voraussetzung für die nachhaltige Transformation des Klybeck-Areals in ein neues Stadtquartier ist volle Transparenz über die Belastung des Areals mit Giftstoffen. Und den Einbezug der Bevölkerung bei der Sanierung des Areals.
Die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AeFU) machen seit Jahren auf die problematische Schadstoffsituation im Klybeck aufmerksam. Am 20. Juni 2019 präsentierte AeFU-Geschäftsleiter Martin Forter von den Ärzten und Ärztinnen ein eigenes Gutachten. Sein Fazit: “Die Behörden des Kantons Basel-Stadt haben die Altlastenverordnung im Stadtteil Klybeck nur in Ansätzen umgesetzt. Deshalb wissen sie bis heute nicht genau, wo auf den Chemiegeländen der BASF AG und der Novartis AG sowie auf öffentlichem Grund belastete Standorte vorkommen, die saniert werden müssen.”

Das Klybeck-Areal mit den Produktionsanlagen der Ciba-Geigy im Jahr 1934 (© Staatsarchiv Basel-Stadt, BALAIR 3551)

Die Behörden sehen das anders. Die Belastungssituation im Klybeck bleibe unverändert, gab das Amt für Umwelt und Energie (AUe) am 19.12. 2019 bekannt. Es habe aufgrund des Berichts der AeFU zusätzliche Messungen vorgenommen und an einer Messstelle am Unteren Rheinweg auch Benzidin gefunden. Dieser Stoff kann zu Blasenkrebs führen. “Die Ergebnisse 2019 bestätigen die Resultate aus früheren Jahren und zeigen, dass die Belastungssituation im Klybeck unverändert bleibt.. Schädliche Einwirkungen auf Mensch oder Umwelt sind im heutigen Zustand nicht zu erwarten”, teilte das Amt für Umwelt am 19.12.2019 mit.

Die AeFU reagierten mit vier Forderungen auf diese Mitteilung:

  • Systematische Untersuchung des Chemiemülls und des Grundwassers auf Benzidin und die anderen gefährlichen Substanzen.
  • Systematische und detaillierte Erfassung der belasteten Standorte im Klybeck.
  • Vollständige Beseitigung des kontaminierten Untergrunds sowie des Chemiemülls auf Allmend, bevor das Bauen beginne.
  • Die Einberufung einer Begleitkommission.

Die alten (Novartis und BASF) und die neuen (Central Real Estate und SwissLife) Besitzer des Areals hüllen sich in Schweigen, was die Altlasten im Klybeck betrifft. Wer trägt das Risiko? Wer übernimmt die Kosten, falls aufwändige Sanierungen notwendig werden? Derartige Fragen bleiben unbeantwortet. Welche Strategie betreffend Altlasten verfolgen die neuen Besitzer? Welche Kanäle wollen sie benutzen, um mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren? Welche Sanierungskonzepte favorisieren sie?

Unbefriedigender Zustand

Es entsteht eine klassische, aber unbefriedigende Situation: verschiedene Standpunkte, verschiedene Beurteilungen, Intransparenz bei Vorgehensweisen. Wem soll die Bevölkerung glauben? Wer hat nun recht? Und welcher Standpunkt wird von welchen Interessen geprägt? Was sind die Ziele der Stadt und der Besitzer? So wird das Vertrauen der Bevölkerung nicht gewonnen. Es ist keine gute Grundlage für die Umwandlung des Klybeck-Areals in ein innovatives, zukunftgerichtetes Stadtquartier und für den immer wieder versprochenen partizipativen Einbezug der Bevölkerung in die Entwicklung.
Es gibt ausgezeichnete Beispiele dafür, wie offen und konstruktiv mit dem Schadstoffproblem umgegangen werden kann.

Bonfol

Am 27. April 2004 haben der Kanton Jura und die Basler Chemische Industrie (BCI) eine 16-köpfige Informationskommission eingesetzt, welche die Sanierung der Deponie Bonfol begleitete. Sie umfasste Vertreter von Verbänden und von Initiativen aus dem Umweltbereich, Behördenvertreter aus der Schweiz und Frankreich und Vertreter der BCI. Die Kommission soll die Verständigung zwischen allen interessierten Kreisen fördern.
Im jurassischen Bonfol hatte hauptsächlich die chemische-pharmazeutische Industrie aus Basel während Jahrzehnten giftigen Müll aus ihrer Produktion deponiert. Erst nach einer Besetzung durch Greenpeace und grossem öffentlichen Druck einigten sich der Kanton und die Chemie im Jahr 2000 aufeine Sanierung. Diese wurde im Herbst 2016 abgeschlossen und hatte 380 Millionen Franken gekostet. (BCI: Fakten zur Sanierung)
Die Informationskommission hat ein weites Einsichtsrecht, äußert ihre Meinung und kann Gutachten anfordern, schreibt deren Präsident Rene Longet auf der Website der Kommission. Sie arbeite mit ihren Mitgliedern daran, die Bedenken zu ermitteln, in jeder Phase nach den besten Lösungen zu suchen und ganz allgemein die Debatte zu fördern und Transparenz zu gewährleisten. Eine kontinuierliche, kritische und aufmerksame Unterstützung trage dazu bei, Vertrauen zu schaffen, dass die bestmöglichen Lösungen umgesetzt werden. Longet spricht von einer vorbildlichen Aktion, denn in allen Industrieländern müssten viele derartige Standorte saniert werden.

Bonfol (Roland Zumbuehl / CC BY https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)

Informations-und Austauschplattform Quecksilber

Beim Bau der A9 zwischen Visp und Niedergesteln im Wallis wurden 2010/2011 erhöhte Quecksilberkonzentrationen festgestellt. Untersuchungen ergaben, dass Lonza AG ab etwa 1930 bis ca. 1975 quecksilberbelastete Abwässer in den Grossgrundkanal leitete. Das Quecksilber sammelte sich im Bodensatz des Kanals an. Dieser wurde bei Unterhaltsarbeiten ausgebaggert und samt Quecksilber aufs umliegende Land verteilt. Die Behörden identifizierten 96 sanierungsbedürftige Parzellen. Im Herbst 2017 begannen die Sanierungsarbeiten.

Anfang 2015 wurde eine Informations- und Austauschplattform geschaffen. Vertreten sind Kantons- und Gemeindebehörden, die Lonza AG und Verbände wie die AeFU, der WWF und die Interessengemeinschaft Quecksilber (IGQ) in Visp. Der regelmässige Austausch auf diesen zusätzlichen Ebenen sichere eine transparente Kommunikation und einen direkteren Wissenstransfer zu den Betroffenen, teilten der Kanton, die betroffenen Gemeinden und die Lonza AG mit. Die Informations- und Austauschplattform hat seit 2015 17 Mal getagt; die Protokolle werden auf der Website des Kantons veröffentlicht.

Sondermüllofen Basel

Auch beim Bau des Sondermüllofens im Klybeck (Der Spiegel: Lächerliches Öfeli, 21.5.1990) brauchte es einen runden Tisch, bis der Ofen gebaut werden konnte. “Die Planung für den Sondermüllofen, die schon viele Jahre früher begann, kam nach dem Brand in Schweizerhalle ins Stocken, da bei der Planung der potentielle Dioxinausstoss vergessen wurde. Erst nach einem längeren Prozess am runden Tisch mit WWF, Quartierbevölkerung etc. wurde der Ofen massiv verbessert und konnte schliesslich gebaut werden. Und noch während Jahren wurde dann der Betrieb von einer gemischten Begleitgruppe aus Betreibern und Nachbarschaftsvertretern regelmässig besprochen”, sagt Stephan Robinson. Er hat seinerzeit als Experte an dem Dokument mitgewirkt, das im Anhang zum Ergebnisbericht “Mitwirkung weiterdenken” vom 23. November 2019 erwähnt wird: A Discussion of the Role of Citizens in Public Decision-Making, Post-Cold War Demilitarization, and Environmental Clean-Up (zu deutsch etwa: Eine Diskussion über die Rolle der Bürger bei der öffentlichen Entscheidungsfindung, der Entmilitarisierung nach dem Kalten Krieg und der Umweltsanierung — Das Dokument steht nicht online zur Verfügung; er kann aber bei der Fachstelle Stadtentwicklung angefordert werden).

Worum geht es in dem Papier?

Sogar die Armee kommt um Partizipation nicht herum

Nach dem Kalten Krieg bauten die Streitkräfte in Ost und West ihre Kapazitäten massiv ab. Hunderte militärische Installationen wurden stillgelegt. Millionen von Tonnen von Waffen, Munition und Giftstoffen mussten und müssen entsorgt werden.
Diese Entwicklung löste nicht nur eitel Freude aus. Viele Gemeinden, die direkt von militärischen Installationen profitierten, machten sich Sorgen um Arbeitsplätze und die Auswirkungen der Transformationsprojekte auf die Umwelt und die öffentliche Gesundheit. Sie verlangten, dass sie über die Pläne informiert und in die Entscheidfindung einbezogen würden.

DAD funktioniert nicht mehr

In der „guten alten Zeit“ wurden derartige Projekte nach dem DAD-Prinzip durchgezogen: „decide — announce — defend“ (entscheide — verkünde — verteidige). Anders gesagt: Die Menschen wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Manchmal wurde sie pro forma angehört. Die Bürgerinnen und Bürger merkten aber schnell, dass ihre Äusserungen kein Gewicht hatten. Folgerichtig reagierten sie mit Protesten und Gerichtsverfahren. Die Folgen waren jahrelange rechtliche Auseinandersetzungen, Blockaden und immense Kosten. Die Behörden lernten, dass solche Sanierungsprozesse nur effizient ablaufen, wenn die betroffene Bevölkerung einen Platz am Verhandlungstisch bekommt. Sie entwickelten partizipative Verfahren, die in dem Dokument eingehend beschrieben werden.

RAB und CAC

Um Blockaden zu vermeiden und einvernehmliche Lösungen zu erzielen, wurden sogenannte „Restoration Advisory Boards (RABs)“ und “Citizens’ Advisory Commissions (CACs)” etabliert. Ziel war, den Dialog zwischen Militär und zivilen Stakeholdern zu fördern. Das Militär wurde angewiesen, die zivilen Nachbarn von Militäranlagen in den Transformationsprozess einzubeziehen und volle Transparenz herzustellen. Für die Prozesse wurden detaillierte Richtlinien erlassen. Insbesondere erhielten sie auch finanzielle Unterstützung, um Expertinnen und Experten beizuziehen, die ihnen helfen konnten, schwierig lesbare technische Dokumente zu verstehen.
Erfolgsfaktoren

Die Organisation Global Green USA hat 1999 die Verfahren evaluiert und die Faktoren, die zum Erfolg oder Misserfolg eines Projekts beitrugen, analysiert. Fundamentale Faktoren waren:

  • Alle Stakeholders müssen vertreten sein, Kritiker ebenso wie Befürworter des Projektes (im Fall von Basel der Klybecktransformation). Es muss klar sein, ob die Mitglieder eines solchen Komitees gewählt oder von einer Instanz (z.B. dem Gouverneur) bestimmt werden. Und eine kompetente Leitung des Komitees ist wichtig, um die Arbeit erfolgreich durch schwierige Diskussionen zu steuern.
  • Die Bildung eines solchen Komitees sollte schon ganz am Projektanfang geschehen, und nicht, wenn schon wesentliche Entscheidungen getroffen wurden. Die Erfahrung zeigte, dass der Input von den Beiräten oft zu einem besseren Projekt führten.
  • Die Komitees sollten die finanziellen Möglichkeiten erhalten für technische Unterstützung, Weiterbildung, unabhängige Experten, etc. Die Erfahrung zeigte, dass die Komitees sich damit sehr schnell das nötige Wissen aneigneten, um zu einer konstruktiven Lösung beizutragen und z. T. danach mehr wussten als die Armeeexperten.
  • Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichen müssen klar geregelt sein, sei es in einem Gesetz, einer Verordnung oder in einer Vereinbarung.
  • Sämtliche Dokumente sind öffentlich zugänglich. Der Bevölkerung wird ausreichend Zeit eingeräumt, um die Unterlagen zu prüfen, zu verstehen und um Stellung zu nehmen.
  • Im Falle der Technologieevaluation für die Chemiewaffenabrüstung waren viele Geschäftsgeheimnisse involviert. Das Komitee löste dies, indem es einen Unterausschuss bildete aus Mitgliedern, denen es intern vertraute. Diese evaluierten die Technologien unter einer Vertraulichkeitsvereinbarung und teilten dem Komitee nur die Schlussfolgerungen mit, nicht aber die technischen Details, die zu den Empfehlungen führten.

Der Bericht schliesst mit folgendem Fazit: “Bürgerbeiräte wurden im letzten Jahrzehnt in etwa 340 militärischen und ehemaligen militärischen Einrichtungen in den Vereinigten Staaten eingerichtet; ähnliche Ausschüsse gibt es auch im europäischen Ausland. Wenn solche Ausschüsse richtig eingesetzt werden, können sie lokale Gemeinschaften stärken, das Misstrauen und die Konfrontationstaktiken der Bürger und des Militärs aus der Vergangenheit überwinden, eine gemeinschaftliche und kooperative Entscheidungsfindung fördern, rechtzeitige und kosteneffektive Lösungen erleichtern und eine sichere, umweltverträgliche Säuberung von toxischer Verschmutzung und Chemikalien ermöglichen und längerfristig für eine nachhaltige Konversion und Sanierung wertvollen Militärlandes sorgen.”