Besorgungsdienst: Mehr als einkaufen

Rosario Sciascia gehört zu den Freiwilligen, die während des Lockdowns Menschen geholfen haben, die nicht selber einkaufen konnten. Zum Beispiel jener Dame, die das Virus überlebte.

Ruhig und bescheiden erzählt Sciascia von seinen Einsätzen und aus seinem Leben: Eine Stelle suchen, im Rotkreuzladen Second-Hand Sachen verkaufen, Sportanlässe mit Menschen mit einer Behinderung besuchen, viel Sport treiben. Als der Lockdown kam, hat Sciascia im Internet recherchiert, wo er gebraucht werden könnte – so ist er auf den Besorgungsdienst gestossen.
Fast jeden zweiten Tag besucht er nun eine betagte Dame am andern Ende der Stadt und erledigt für sie die Einkäufe. Was als Rotkreuzeinsatz begann, ist längst eine eigene Geschichte geworden.

«Helfen gibt mir Sinn»

«Sie ist doppelt so alt wie ich, intelligent und sehr agil», beschreibt Sciascia seine Kundin. Sie hat die Viruserkrankung Covid-19 überlebt und durch tragische Umstände ihren ebenfalls erkrankten Partner verloren. Während sie sich im Spital erholte, kontaktierten die Verantwortlichen das Rote Kreuz. Der Besorgungsdienst war dringend nötig, doch in dieser schweren Zeit ist ihr Sciascia auch in vielen anderen Dingen eine Stütze. So leistet er ihr Gesellschaft und hat sie ermutigt, wieder Treppen zu steigen: «Sie hat ihre Angst überwunden und braucht mich jetzt nicht mehr dazu.»
Sie gehen viel zusammen spazieren und reden über ihre Kindheit, über die Gegenwart. «Dabei erzählen wir uns auch sehr persönliche Sachen – als würden wir uns schon lange kennen». Sciascia möchte, dass diese Beziehung bestehen bleibt, auch wenn er wieder eine Stelle finden sollte. «Wenn ich helfen kann, tue ich das, das gibt mir Sinn.»

«Pflege ist eine dankbare Arbeit»

Genau das fehlte ihm bei seiner früheren Tätigkeit als Geschäftsführer im Gastrobereich. «Ich krampfte jahrelang 12-16 Stunden täglich, bis mich gesundheitliche Probleme zwangen, mich neu zu orientieren». Er hat darauf den Kurs Pflegehelfer/-in SRK absolviert. «Ich hatte lustige, aber auch schwierige Patientinnen und Patienten», sagt Sciascia über einen zeitlich begrenzen Einsatz in einem Pflegezentrum. «Aber alle sind froh, wenn man ihnen hilft und mit ihnen Zeit verbringt. Es ist eine dankbare Arbeit».

«Ich gehe auf Menschen ein»

Sciascia erzählt aber auch von jenen paar schwierigen Monaten, die er auf der Strasse verbrachte – ohne jedoch Sozialhilfe zu beziehen. «Da wird ein Franken plötzlich sehr viel Wert und ein Kaffee ist ausserordentlich». Die Obdachlosigkeit prägt einen Menschen. Auf der Strasse habe er gelernt, auf Menschen und ihre Schicksale einzugehen und sie jenseits des ersten Anscheins zu respektieren.
Nun hat Sciascia seit längerem wieder ein Dach über dem Kopf, aber die wertvollen Erfahrungen und das einfache Leben sind ihm geblieben. Er steht in seiner kleinen Einzimmerwohnung, der Besuch bekommt den Stuhl. Seit seinem Einsatz im Pflegezentrum ist er auf Stellensuche. Eine Altlast im Betreibungsregister könnte der Grund sein, vermutet er. Oder, wie seine Kontaktperson beim Roten Kreuz vermutet, dass er sich unter seinem Wert verkauft. Rosario Sciascia braucht wohl einfach jemanden, der ihm eine Chance gibt.
Schweizerisches Rotes Kreuz, Sibylle Dickmann-Perrenoud

Sibylle Dickmann-Perrenoud 9-2020 Besorgungsdienst